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Katakombenpakt

Christliches

Für eine dienende und arme Kirche

Der Katakombenpakt als geheimes Vermächtnis des II. Vaticanums

von NORBERT ARNTZ


Am 16. November 1965 – drei Wochen vor dem Abschluss des II. Vatikanischen Konzils – unterzeichneten in den Domitilla-Katakomben außerhalb Roms 40 Bischöfe der ganzen Welt die folgenden Selbst-Verpflichtungen, denen sich später noch circa 500 weitere Bischöfe anschlossen.

Der Wortlaut:

Als Bischöfe,

   die sich zum Zweiten Vatikanischen Konzil versammelt haben;
   die sich dessen bewusst geworden sind, wie viel ihnen noch fehlt, um ein dem Evangelium entsprechendes Leben in Armut zu führen;
   die sich gegenseitig darin bestärkt haben, gemeinsam zu handeln, um Eigenbrötelei und Selbstgerechtigkeit zu vermeiden;
   die sich eins wissen mit all ihren Brüdern im Bischofsamt;
   die vor allem aber darauf vertrauen, durch die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sowie durch das Gebet der Gläubigen und Priester unserer Diözesen bestärkt zu werden;
   die in Denken und Beten vor die Heilige Dreifaltigkeit, vor die Kirche Christi, vor die Priester und Gläubigen unserer Diözesen hintreten;

nehmen wir in Demut und der eigenen Schwachheit bewusst, aber auch mit aller Entschiedenheit und all der Kraft, die Gottes Gnade uns zukommen lassen will, die folgenden Verpflichtungen auf uns:

1. Wir werden uns bemühen, so zu leben, wie die Menschen um uns her üblicherweise leben, im Hinblick auf Wohnung, Essen, Verkehrsmittel und allem, was sich daraus ergibt (vgl. Mt 5,3; 6,33–34; 8,20).

2. Wir verzichten ein für allemal darauf, als Reiche zu erscheinen wie auch wirklich reich zu sein, insbesondere in unserer Amtskleidung (teure Stoffe, auffallende Farben) und in unseren Amtsinsignien, die nicht aus kostbarem Metall – weder Gold noch Silber – gemacht sein dürfen, sondern wahrhaft und wirklich dem Evangelium entsprechen müssen (vgl. Mk 6,9; Mt 10,9; Apg 3,6).

3. Wir werden weder Immobilien oder Mobiliar besitzen noch mit eigenem Namen über Bankkonten verfügen; und alles, was an Besitz notwendig sein sollte, auf den Namen der Diözese beziehungsweise der sozialen oder caritativen Werke überschreiben (vgl. Mt 6,19–21; Lk 12,33–34).

4. Wir werden, wann immer dies möglich ist, die Finanz- und Vermögensverwaltung unserer Diözesen in die Hände einer Kommission von Laien legen, die sich ihrer apostolischen Sendung bewusst und fachkundig sind, damit wir Apostel und Hirten statt Verwalter sein können (vgl. Mt 10,8; Apg. 6,1–7).

5. Wir lehnen es ab, mündlich oder schriftlich mit Titeln oder Bezeichnungen angesprochen zu werden, in denen gesellschaftliche Bedeutung oder Macht zum Ausdruck gebracht werden (Eminenz, Exzellenz, Monsignore …). Stattdessen wollen wir als »Padre« angesprochen werden, eine Bezeichnung, die dem Evangelium entspricht (vgl. Mt 20, 25 –28; 23, 6–11; Joh 13, 12–15).

6. Wir werden in unserem Verhalten und in unseren gesellschaftlichen Beziehungen jeden Eindruck vermeiden, der den Anschein erwecken könnte, wir würden Reiche und Mächtige privilegiert, vorrangig oder bevorzugt behandeln (zum Beispiel bei Gottesdiensten und bei gesellschaftlichen Zusammenkünften, als Gäste oder Gastgeber) (Lk 13, 12–14; 1 Kor 9,14 –19).

7. Ebenso werden wir es vermeiden, irgendjemandes Eitelkeit zu schmeicheln oder ihr gar Vorschub zu leisten, wenn es darum geht, für Spenden zu danken, um Spenden zu bitten oder aus irgendeinem anderen Grund. Wir werden unsere Gläubigen darum bitten, ihre Spendengaben als üblichen Bestandteil in Gottesdienst, Apostolat und sozialer Tätigkeit anzusehen (vgl. Mt 6, 2–4; Lk 15,9–13; 2 Kor 12,4).

8. Für den apostolisch-pastoralen Dienst an den wirtschaftlich Bedrängten, Benachteiligten oder Unterentwickelten werden wir alles zur Verfügung stellen, was notwendig ist an Zeit, Gedanken und Überlegungen, Mitempfinden oder materiellen Mitteln, ohne dadurch anderen Menschen und Gruppen in der Diözese zu schaden. Alle Laien, Ordensleute, Diakone und Priester, die der Herr dazu ruft, ihr Leben und ihre Arbeit mit den Armgehaltenen und Arbeitern zu teilen und so das Evangelium zu verkünden, werden wir unterstützen (vgl. Lk 4,18f.; Mk 6,4; Mt 11,4 –5; Apg 18,3– 4; 20,33–35; 1 Kor 4,12; 9,1–27).

9. Im Bewusstsein der Verpflichtung zu Gerechtigkeit und Liebe sowie ihres Zusammenhangs werden wir darangehen, die Werke der »Wohltätigkeit« in soziale Werke umzuwandeln, die sich auf Gerechtigkeit und Liebe gründen und alle Frauen und Männer gleichermaßen im Blick haben. Damit wollen wir den zuständigen staatlichen Stellen einen bescheidenen Dienst erweisen (vgl. Mt 25, 31–46; Lk 13,12–14 und 33f.).

10. Wir werden alles dafür tun, dass die Verantwortlichen unserer Regierung und unserer öffentlichen Dienste solche Gesetze, Strukturen und gesellschaftlichen Institutionen schaffen und wirksam werden lassen, die für Gerechtigkeit, Gleichheit und gesamtmenschliche harmonische Entwicklung jedes Menschen und aller Menschen notwendig sind. Dadurch soll eine neue Gesellschaftsordnung entstehen, die der Würde der Menschen- und Gotteskinder entspricht (vgl. Apg 2,44f; 4,32–35; 5,4; 2 Kor 8 und 9; 1 Tim 5,16).

11. Weil die Kollegialität der Bischöfe dann dem Evangelium am besten entspricht, wenn sie sich gemeinschaftlich im Dienst an der Mehrheit der Menschen zwei Drittel der Menschheit – verwirklicht, die körperlich, kulturell und moralisch im Elend leben, verpflichten wir uns:

   Gemeinsam mit den Episkopaten der armen Nationen dringliche Projekte zu verwirklichen, entsprechend unseren Möglichkeiten.
   Auch auf der Ebene der internationalen Organisationen das Evangelium zu bezeugen, wie es Papst Paul VI. vor den Vereinten Nationen tat, und gemeinsam dafür einzutreten, dass wirtschaftliche und kulturelle Strukturen geschaffen werden, die der verarmten Mehrheit der Menschen einen Ausweg aus dem Elend ermöglichen, statt in einer immer reicher werdenden Welt ganze Nationen verarmen zu lassen.

12. In pastoraler Liebe verpflichten wir uns, das Leben mit unseren Geschwistern in Christus zu teilen, mit allen Priestern, Ordensleuten und Laien, damit unser Amt ein wirklicher Dienst werde. In diesem Sinne werden wir

   gemeinsam mit ihnen »unser Leben ständig kritisch prüfen«;

   sie als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstehen, so dass wir vom Heiligen Geist inspirierte Animateure werden, statt Chefs nach Art dieser Welt zu sein. – uns darum mühen, menschlich präsent, offen und zugänglich zu werden.
   uns allen Menschen gegenüber offen erweisen, gleich welcher Religion sie sein mögen (vgl. Mk 8,34f.; Apg 6,1–7; 1 Tim 3,8 –10).

13. Nach der Rückkehr in unsere Diözesen, werden wir unseren Diözesanen diese Verpflichtungen bekanntmachen und sie darum bitten, uns durch ihr Verständnis, ihre Mitarbeit und ihr Gebet behilflich zu sein.

Gott helfe uns, unseren Vorsätzen treu zu bleiben.

Zu den 40 Erstunterzeichnern gehörten u. a. Dom Helder Cámara, Dom Antonio Fragoso, Dom Aloisio Lorscheider (Brasilien), Don Manuel Larraín (Chile), Don Leonidas Proaño (Ecuador), Don Samuel Ruiz (Mexiko), Don José Dammert (Peru), Weihbischof Luigi Bettazzi (Italien), Weihbischof Alfred Ancel (Frankreich), Weihbischof Julius Angerhausen (Deutschland).

Übersetzung aus dem Spanischen: NORBERT ARNTZ
Ausgabe 6/2012

Geschichte / Hintergrund:

Der so genannte Katakombenpakt, bis heute vielen Christen unbekannt, ist eine Selbstverpflichtung von Konzilsteilnehmern, der Gruppe »Kirche der Armen«. Woher der Katakombenpakt stammt, welche Motive zur Bildung der Gruppe von Konzilsbischöfen geführt haben, die sich »Kirche der Armen« nennt, welchen Einfluss die Gruppe auf den Gang des Konzils nehmen konnte und welche Wirkungen im Lauf der nachkonziliaren Kirchengeschichte sich mit dem Katakombenpakt in Verbindung bringen lassen – diesen Fragen will ich in den folgenden Zeilen nachgehen. Aus verständlichen Gründen gestatten der begrenzte Umfang eines kurzen Artikels sowie die noch ausstehenden Forschungen nur eine grobe Antwortskizze.
Die Bildung der Gruppe »Kirche der Armen«

Einen ersten Anstoß zur Bildung dieser Gruppe gibt Papst Johannes XXIII. Zweifellos von der Grundhaltung der Armut bestimmt, die den anderen Menschen weder besitzen noch missachten will, berief Papst Johannes XXIII. das II. Vatikanische Konzil ein. »Wäre es nicht an der Zeit, den kaiserlichen Staub, der sich seit Konstantin auf dem Stuhl des heiligen Petrus abgesetzt hat, abzuschütteln?«, fragte er. Ebenso wie mit diesen mündlich überliefertenWorten hat er mit der Rede von der »Kirche der Armen« in seiner Rundfunkansprache vom 11. Sept. 1962, also genau vier Wochen vor der Eröffnung des Konzils, einen Prozess in Gang gesetzt, in dem sich das Konzil als dialogisches Ereignis überhaupt entfalten konnte:

Sich zur gesellschaftlichen Lage der Armut in der Welt zu verhalten, ist für Johannes XXIII. eine Bedingung, um die Bedeutung der Kirche und ihres Tuns angemessen verstehen zu können. Dem Papst kommt es darauf an, aus der Kirche ein Zeichen der Liebe Gottes zu jedem Menschen ohne Ausnahme (»die Kirche aller«) zu machen und zugleich daran zu erinnern, dass Gott sich den Unterdrückten und Armen vorrangig zuwendet (»insbesondere die Kirche der Armen«). Die beiden Aspekte »Universalität« und »Vorrang der Armen« sind biblisch untrennbar miteinander verbunden.

Ein weiterer Anstoß zur Bildung der Gruppe ging von Nazareth aus. Vor der ersten Konzilssession hatte Paul Gauthier, ehemaliger Professor am Priesterseminar in Dijon/Frankreich und nun Arbeiter in Nazareth, zusammen mit der von ihm gegründeten »Bruderschaft der Gefährten des Zimmermanns Jesus von Nazareth «, ein Schreiben an den Papst und alle Konzilsväter gerichtet. In dem von Erzbischof Hakim aus Nazareth und dem belgischen Bischof Himmer unterstützten Dossier mit dem Titel »Jesus, die Kirche und die Armen«2 baten sie die Bischöfe darum, »unter dem Antrieb des Heiligen Geistes die Beziehung der Liebe zu betrachten, welche die Kirche mit den Armen verbindet …, die mit Jesus gleichgesetzt werden. Damit die Menschen, die heute auf die Kirche schauen, in ihr Jesus von Nazareth, den Zimmermann, erkennen.«

Der Nazareth-Gruppe gelang es, eine große Gruppe von Bischöfen und Konzilsberatern zu inspirieren. Der Gruppe »Kirche der Armen« gliederten sich ferner Bischöfe an, die zu den von Charles de Foucauld angeregten »Kleinen Brüdern Jesu« zählten, sowie Bischöfe aus der Arbeiterpriesterbewegung und Bischöfe aus der damals so genannten »DrittenWelt«, die vom Elend der ihnen anvertrautenMenschen und von der Sorge um die Überwindung des Elends tief betroffen waren.

Welche Dynamik gleich zu Beginn des Konzils dieser Geist der Armut bei einer Reihe von Konzilsbischöfen wachgerufen hat, lässt sich eindrucksvoll nachempfinden, wenn man einen der ersten Rundbriefe des damaligen Weihbischofs von Rio de Janeiro, Dom Helder Camara, liest. Am 24. Okt. 1962 schreibt er:

»Bandung« – das war 1955 die Konferenz, zu der die Vertreter von 29 afrikanischen und asiatischen Nationen in der indonesischen Gebirgsstadt Bandung zusammengekommen waren, um sich gegen Kolonialismus und Imperialismus zu verbünden. Man könnte behaupten: Mit dem Stichwort »christliches Bandung« greift Helder Camara die Idee Johannes’ XXIII. auf, mit dem Konstantinismus Schluss zu machen. Aber diese weltkirchliche und weltpolitische Idee musste vorbereitet werden. Dazu bedurfte es anderer Schritte. Durch persönliche Umkehr musste die kirchliche Umkehr in der Konzilsaula vorbereitet werden:

Aber sie konnten diesen Schwung offenbar nicht auf das gesamte Konzil übertragen, auch wenn Kardinal Lercaros Rede vom 6. Dezember 1962 aus dem Geist der Armut bestimmt war:

Zwar ließ sich auch Papst Paul VI. dazu bewegen, seine Tiara bei einer Messe im byzantinischen Ritus dem Patriarchen Maximos IV. Saigh vor die Füße zu legen und damit ein Zeichen gegen den Konstantinismus zu setzen. Aber die Bischöfe aus achtzehn Nationen und aus vier Erdteilen, die sich schließlich zur Gruppe »Kirche der Armen« zusammengefunden und sich nahezu wöchentlich im Belgischen Kolleg getroffen hatten, erreichten es nicht, die Armen in den Mittelpunkt der konziliaren Reflexion zu rücken. Eines der wenigen spürbaren Ergebnisse ihrer Bemühungen war die Aussage der Kirchenkonstitution in Lumen gentium 8,3:

»Wie aber Christus das Werk der Erlösung in Armut und Verfolgung vollbrachte, so ist auch die Kirche berufen, den gleichenWeg einzuschlagen, um die Heilsfrucht den Menschen mitzuteilen. Christus Jesus hat, ›obwohl er doch in Gottesgestalt war,…sich selbst entäußert und Knechtsgestalt angenommen‹ (Phil 2,6); um unseretwillen ›ist er arm geworden, obgleich er doch reich war‹ (2 Kor 8,9). So ist die Kirche, auch wenn sie zur Erfüllung ihrer Sendung menschlicher Mittel bedarf, nicht gegründet, um irdische Herrlichkeit zu suchen, sondern um Demut und Selbstverleugnung auch durch ihr Beispiel auszubreiten. Christus wurde vom Vater gesandt, ›den Armen frohe Botschaft zu bringen, zu heilen, die bedrückten Herzens sind‹ (Lk 4,18), ›zu suchen und zu retten, was verloren war‹ (Lk 19,10). In ähnlicher Weise umgibt die Kirche alle mit ihrer Liebe, die von menschlicher Schwachheit angefochten sind, ja in den Armen und Leidenden erkennt sie das Bild dessen, der sie gegründet hat und selbst ein Armer und Leidender war.« Dieser Abschnitt aus einem Verfassungstext des Konzils unterstreicht zwar die Armut der Kirche, ist aber außerhalb Lateinamerikas eine der am meisten und vermutlich sogar absichtlich vergessenen Lehren des Konzils. Dieser Text bleibt im Hinblick auf das Gesamtwerk des Konzils völlig marginal.

Warum war die übergroße Mehrheit der Bischöfe nicht daran interessiert, das Problem der Armut zu behandeln? Für diese Frage gibt es bisher keine eindeutige und befriedigende Erklärung. Manche sagen, die Mehrheit der Bischöfe gehörte einer bürgerlichen Kultur an und war von ihr geprägt, war »modernisiert« und hatte die Postulate der bürgerlichen Gesellschaft, Menschenrechte, Trennung von Staat und Kirche akzeptiert, aber kannte das Problem der Klassenunterschiede nicht. Das Dokument Gaudium et spes konnte verfasst werden, ohne die Klassengegensätze beziehungsweise -konflikte zu erwähnen. Der Prozess der Entkolonialisierung war noch nicht offenkundig geworden. Das Problem der Armut wurde immer noch aus der Sicht der westeuropäischen Gesellschaften betrachtet. Die anderen Kontinente fingen gerade erst an, sich ihrer »offenen Adern« bewusst zu werden.
Der Katakombenpakt vom 16. November 1965

Trotz ihrer nur geringen Einflussmöglichkeiten auf den Gang des Konzils ließ sich die Gruppe »Kirche der Armen « von ihren Inspirationen nicht abbringen. Es bedurfte offenbar weiterer Umwege, um die Kirche »auf die verloren gegangenenWege der Armut zurückzuführen « (Helder Camara), als man sich während des Konzils erhofft hatte. Gegen Ende des Konzils, am 16. November 1965, versammelte sich eine Gruppe von 40 Bischöfen in den Domitilla-Katakomben und unterzeichnete dort den so genannten Katakombenpakt. Sie versprachen, dass sie nach ihrer Rückkehr vom Konzil, das am 8. Dezember 1965 zu Ende ging, etwas Grundsätzliches in ihrem Leben und bei ihrer kirchlichen Tätigkeit ändern wollten: Sie versprachen, ein einfaches Leben zu führen und den Machtinsignien zu entsagen sowie einen Pakt mit den Armen zu schließen – die später so genannte »Option für die Armen«. Sie bedeutet, die Welt mit den Augen der arm gehaltenen beziehungsweise arm gemachten Bevölkerung zu sehen und solidarisch mit ihr gegen die Armut handeln zu wollen. Das Dokument mit den dreizehn Selbstverpflichtungen hat Kardinal Lercaro, Erzbischof von Bologna und einer der vier Moderatoren des Konzils, dem Papst übergeben. Das Dokument wurde in Anlehnung an das so genannte Schema 13 – die Skizze der Konstitution »Gaudium et Spes« – im Scherz »Schema 14« genannt. Später schlossen sich noch 500 weitere Bischöfe dem Katakombenpakt an. Durch diese gemeinsam vereinbarten Selbstverpflichtungen hatte die Gruppe eine tief reichende spirituelle und prophetische Wirkung, selbst wenn ihr die institutionelleWirkung auf das Konzil selbst versagt blieb. (SieheWortlaut des »Katakombenpaktes« in der Rubrik »Dokumentation« dieser Ausgabe auf S. 29f.)

Kirchenpolitische und politische Wirkungen

Noch in der Endphase des Konzils hatte Dom Helder Camara gemeinsam mit dem Präsidenten des Lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM) Don Manuel Larraín von Chile dem Papst vorgeschlagen, die Erfahrung des Konzilsereignisses auch für die Lateinamerikanische Kirche möglich zu machen. Dazu sollte eine neue Generalversammlung der Bischöfe des Kontinents einberufen werden. Die erste kontinentale Zusammenkunft hatte 1955 in Rio de Janeiro stattgefunden. Nachdem Papst Paul VI. zugestimmt hatte, wurde die II. Generalversammlung für 1968 nach Medellín in Kolumbien einberufen. Hier setzte man in die Tat um, was im Konzil offenkundig nicht geschehen konnte. In Medellín nämlich greift der lateinamerikanische Episkopat die Themen des Katakombenpaktes wieder auf. Er beschließt u. a. ein Dokument zur »Armut der Kirche« und stellt darin fest3:

»Eine arme Kirche nimmt folgende Haltung ein:

   Sie klagt den ungerechten Mangel der Güter dieser Welt und die Sünde an, die ihn hervorbringt;
   Sie predigt und lebt die geistliche Armut als Haltung der geistlichen Kindschaft und Offenheit gegenüber Gott;
   Sie verpflichtet sich selbst zur materiellen Armut. Die Armut der Kirche ist eine Konstante in der Heilsgeschichte.« (14.5)
   »Alle Mitglieder der Kirche sind dazu aufgerufen, die Armut des Evangeliums zu leben.« (14.6)
   »Die Armut der Kirche und ihrer Mitglieder in Lateinamerika muss Zeichen und Verpflichtung sein, Zeichen des unschätzbaren Wertes des Armen in den Augen Gottes und Verpflichtung zur Solidarität mit denen, die leiden.« (14.7)

Damit waren die Themen des Katakombenpaktes zum Bestandteil des kirchlichen Lehramtes einer kontinentalen Ortskirche in der katholischen Kirche geworden. Die Bischofsversammlung von Medellín provozierte einen ungeheuren Schock in Lateinamerika. Tatsächlich veränderten viele Bischöfe den Stil ihrer Amtsausübung. Viele Priester, Ordensschwestern und Ordensbrüder lebten mit dem einfachen Volk zusammen. Verschiedene Bischofskonferenzen wagten es, das Unrecht klar beim Namen zu nennen, zum Beispiel in Brasilien, Chile, Peru, Guatemala.

Rom reagierte umgehend. Die Kurie entwarf einen Plan, die Leitung des CELAM auszutauschen und durch eine willfährige zu ersetzen. Das geschah 1973.

Die neue CELAM-Leitung führte die Kampagne an, um Medellín und jedes weitere Engagement an der Seite der Armen zu denunzieren. Sie bereitete die Versammlung von Puebla für 1979 vor mit der Absicht, Medellín als marxistisch infiltriert zu denunzieren. Der spätere Kardinal Alfonso Lopez Trujillo spielte hier eine entscheidende Rolle.

Es ist ihm jedoch nicht gelungen, den Prozess rückgängig zu machen, der seitdem mit dem Namen Medellín verbunden wird. Die Männer, die den Katakombenpakt angeregt und Medellín ermöglicht hatten, waren in Puebla noch dabei und ließen sich nicht manipulieren. Wie Aparecida 2007 – die 5. Generalversammlung nach Rio de Janeiro 1955; Medellín 1968; Puebla 1979; Santo Domingo 1992 – dokumentiert, ist trotz aller Versuche, den vom Katakombenpakt prophetisch gewiesenen Weg zu unterbrechen, das Bewusstsein wach dafür geblieben, dass »in all dem das Wirken des Heiligen Geistes« zu erkennen ist. Deshalb erklären die Bischöfe in Aparecida:

Auf einem Altar in den Domitilla-Katakomben hat die Gruppe »Kirche der Armen« am 16. November 1965 schließlich den so genannten »Katakombenpakt« unterzeichnet. Das Foto zeigt eine Pilgergruppe in den Domitilla-Katakomben.
FOTO: KNA-BILD

»In Kontinuität mit den bisherigen Generalversammlungen des Lateinamerikanischen Episkopats wird auch in diesem Dokument die Methode ›Sehen – Urteilen – Handeln‹ angewendet. [Es wird bestätigt], dass diese Methode dazu beigetragen hat, unsere Berufung und Sendung in der Kirche intensiver zu leben, dass sie unsere theologisch-pastorale Arbeit verbessert und überhaupt dazu motiviert hat, Verantwortung in der jeweiligen konkreten Situation unseres Kontinents zu übernehmen.«4

Die Unterzeichner des Katakombenpaktes von 1965 haben durch Tat und Wahrheit bewiesen, dass eine vom konstantinischen Modell befreite Kirche möglich ist. Der Katakombenpakt bleibt als geheimes Vermächtnis des II. Vatikanischen Konzils wirksam. Die gegenwärtige Glaubwürdigkeitskrise, Identitätskrise und Strukturkrise unserer Kirche beweist, dass das Konzil nur halbherzig rezipiert wurde. Der Katakombenpakt kann dazu inspirieren, das Konzilsereignis und die Dokumente des Konzils beim 50-jährigen Konzilsgedenken 2012 bis 2015 neu zu lesen und fortzuschreiben.

NORBERT ARNTZ
kath. Pfarrer em., Studien der Theologie und Sozialwissenschaften in Deutschland, Peru und Costa Rica. Mehrjährige Tätigkeit im südlichen Andenhochland in Peru. Von 1990 –2008 Mitarbeiter der Bildungsabteilungen von Misereor und der Missionszentrale der Franziskaner. Teilnahme als Beobachter an den Generalversammlungen des lateinamerikanischen Episkopats in Santo Domingo 1992 und Aparecida 2007 sowie beim kontinentalen Treffen der lateinamerikanischen Basisgemeinden 2008 in Santa Cruz/Bolivien. Übersetzer des Abschlussdokuments von Aparecida sowie verschiedener Werke von BefreiungstheologInnen. Zusammen mit dem Team des »Instituts für Theologie und Politik« arbeitet er am Projekt »50-Jahr-Gedenken des II. Vaticanum 2012–2015«.

Ausgabe 6/2012

ANMERKUNGEN

1 Herderkorrespondenz 17/1962, S. 43– 46.
2 Wortlaut des Dossiers in: Paul Gauthier: Die Armen, Jesus und die Kirche, Styria Verlag, Graz 1964, S. 71ff.
3 Vgl. das Kapitel 14 »Armut der Kirche«, in: Die Kirche Lateinamerikas. Dokumente der II. und III. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopates in Medellín und Puebla. Stimmen der Weltkirche Nr. 8. Hrsg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn o.J.
4 Vgl. »Aparecida 2007 – Schlussdokument der 5. Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik«, in: Stimmen der Weltkirche Nr. 41. Hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz – Bonn 2007. Nr. 19.

 
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